Herausragend
Eintausenddreihundertundvierundzwanzig Tage Darmstadt.
Wenn in diesen Tagen Sascha Rittel seinen Ausstand im Fanprojekt Darmstadt gibt, geht eine Ära zu Ende. Nicht wegen bloßer Zahlen wie zum Beispiel vier Spielzeiten, die er mit dem SV 98 erlebte oder den oben genannten Tagen, die er in Darmstadt verbrachte, in der Stadt, die er mittlerweile als Heimat bezeichnet und in der sein "Kiez", das Martinsviertel, liegt. Nein. Eine Ära deswegen, weil Sascha in diesem Zeitraum Werte geschaffen, Maßstäbe gesetzt und Pfade eingeschlagen hat, für die Andere - wenn sie es überhaupt annähernd schaffen - Jahrzehnte brauchen.
Der erste Einsatz führte ihn im Januar 2005 nach Düsseldorf, wo ein sogenanntes Freundschaftsspiel der Lilien angesetzt war und er von seinem genauso kongenial wie manches Mal chaotischen Partner Schneekönig in die Darmstädter Szene "eingeführt" werden sollte. Es wurde eine grandios chaotische Busfahrt und Sascha fragte sich insgeheim, ob er das wirklich machen sollte - Leiter des Fanprojekts in Darmstadt. Denn Darmstadts Fanszene lebt tendenziell grundsätzlich in der Vergangenheit und ist (daher) über die Maßen von sich selbst überzeugt. Das bedeutet, dass ein Trierer, der in Darmstadt das Fanprojekt leiten soll, in den meisten Fällen keineswegs mit offenen Armen empfangen wurde, sondern zurückhaltend (freundlich formuliert) bis ablehnend (realistisch betrachtet). Wir sind Darmstadt, die Partisanen, wer bist Du? Davon nehme ich mich nicht aus. Unsere erste (zumindest mir) bewußte Begegnung datiert vom 1. April 2005. Ortstermin München, Städtisches Stadion an der Grünwalder Straße. Auch von uns wurde Sascha nicht wirklich willkommen geheißen, so wie ein Partner der Fans und Streiter für ihre Interessen eigentlich willkommen geheißen werden sollte.
Sascha Rittel ließ sich davon nicht beeindrucken. Das Misstrauen, das ein Großteil der Fanszene (auch und gerade die "Stadionverbotsler", die normalerweise die Ersten sein müssten, die versuchen solten, ihn als Wahrer der Faninteressen für sich zu gewinnen) ihm entgegenbrachte, war die erste Mauer, die er zum Einstürzen brachte. Es folgten weitere.
Sascha Rittel hat es geschafft, das Fanprojekt Darmstadt (drittelfinanziert von Stadt, Land und DFB) aus dem Stand zu einem der populärsten Jugendhäuser in Darmstadt zu machen. Durch den Meilenstein, eigene Räumlichkeiten anzumieten, zu renovieren und hier eine Anlaufstelle für Fans vor allem im jugendlichen Alter zu schaffen, wurde dieser Zielgruppe die Möglichkeiten gegeben, Fahrten zu planen, Transparente und Banner zu malen, Trommeln und ähnliches Gut unter der Woche unterzustellen und nicht zuletzt einen Ort aufsuchen zu können, an dem man seine Freunde trifft. Neben sozialpädagogischer Arbeit und Beratung in Schulfragen, bei Problemen mit der Justiz oder in der Familie, etablierte Sascha - der die Leitung nach einer Vakanz von dem viel zu früh verstorbenen Andreas Gompf übernahm - das Fanprojekt als ernsthaften und gefragten Gesprächspartner von Polizei, Presse und (neuerdings) Verein.
"Neuerdings" deswegen, weil erst seit dem Amtsantritt von Hans Kessler von einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem SV 98 und dem Fanprojekt gesprochen werden kann. Die Vorgänger legten eher Wert darauf, der vom Verein unabhängigen und demgemäß auch kritischen Institution Fanprojekt fortlaufend Steine in den Weg zu legen oder über lancierte Gerüchte an die Presse die Arbeit von Sascha und Schnee in ein schlechtes Licht zu rücken. Es gelang ihnen nicht. Nichts desto trotz hat sich auch unter dem neuen Präsidium nicht alles zum Positiven gewandelt. Eine offizielle Verabschiedung des Mannes, der fast vier Jahre so engagiert für die Fans und den SV 98 kämpfte, wurde verpasst. Das hat ihn getroffen.
Es ist auch der Verdienst von Sascha Rittel, dass sich mit der Jugend- und der Mädelsgruppierung (für die spezifische Fahrten und Sprechstunden eingerichtet wurden) der Ultras nicht das leidliche Phänomen anderer abgerutschter Traditionsvereine wiederholt, denen eine Fanszene unterhalb von 20 Jahren komplett weggebrochen ist. Es ist ebenfalls auch der Verdienst von Sascha Rittel, dass in Darmstadts Szene im Gegensatz zu vielen anderen Städten eine tiefgehende politische Sensibilisierung stattgefunden hat, die letztlich Ausmaße angenommen hat (hier geht es nicht nur um die alljährlich Fahrt zum internationalen Fußballturnier Mondiali Antirazzisti in Italien, sondern um Plakate, Konzerte, Vorträge), die deutschlandweit Vorbildfunktion haben dürfte - auch wenn die Penetranz dem ein oder anderen sicher ein Stück zu weit geht.
Unterstützt wurde Sascha Rittel in dieser Zeit vor allem vom Träger des Fanprojekts, dem Internationalen Bund, natürlich auch von Schneekönig und den meisten Praktikanten und auch auf die städtischen Behörden war meist Verlass. Ist es nun Ironie des Schicksals, dass jetzt, da er Ende des Monats ausscheidet, das Land Hessen (und die Stadt Darmstadt) aufgrund des noch laufenden Insolvenzantrags des SV Darmstadt 98 keine Finanzierungszusage für die nächste Saison gegeben haben und somit eine sozialpädagogische Betreuung, die durch einen Nachfolger gewährleistet werden sollte, der nun nicht eingestellt werden kann, nicht möglich sein wird? Zukunft ungewiss. An dieser Anlegenheit läßt sich examplarisch der Druck ablesen, unter dem der Leiter des Fanprojekts in Darmstadt fortwährend stand und steht: die permanente Unwissenheit, ob und wie es weitergeht, die durch die komplizierten Entscheidungswege in Behörden (Hessisches Ministerium des Innern, Stadt Darmstadt) befördert wird.
Die Arbeit, die Sascha Rittel in Darmstadt geleistet hat und seine Person sind deutschlandweit auf ungeteilte Anerkennung und viel Wohlwollen gestoßen. Durch den Weggang von ihm verliert auch der Verein SV 98 eine Persönlichkeit, die in der Fußball-, Fan- und Fanprojektszene in Deutschland vernetzt war wie wenige. Engagements für den DFB bei Länderspielen in Londen, Prag und Cardiff sowie der WM 06 und der EM 08 und Dozententätigkeiten bestätigen das. Dass ihm von Seiten des Vereins eine ähnliche Wertschätzung nicht entgegengebracht wurde, stört Sascha vielleicht ein bißchen; trifft ihn aber nicht allzu sehr, denn die Menschen, die ihm in der täglichen Arbeit, bei allen Spielen, in den Fantreffs, bei Behördengängen, bei der Kommunikation mit der Polizei oder auch auf "seinem Kiez" kennen und schätzengelernt haben, diese Menschen haben verstanden, dass uns ein Guter verläßt.
Ein Mann, der in dieser kurzen Zeit ein Heiner geworden ist.
Ein Mann, der eine - jetzt, wo er endlich "privat zum Fußball gehen kann" (in den letzten Wochen eine seiner Lieblingswendungen) - glühende Lilie geworden ist.
Mach et jot, mein Lieber!
/// gehört wird: OASIS, Don´t Look Back In Anger ///
Wenn in diesen Tagen Sascha Rittel seinen Ausstand im Fanprojekt Darmstadt gibt, geht eine Ära zu Ende. Nicht wegen bloßer Zahlen wie zum Beispiel vier Spielzeiten, die er mit dem SV 98 erlebte oder den oben genannten Tagen, die er in Darmstadt verbrachte, in der Stadt, die er mittlerweile als Heimat bezeichnet und in der sein "Kiez", das Martinsviertel, liegt. Nein. Eine Ära deswegen, weil Sascha in diesem Zeitraum Werte geschaffen, Maßstäbe gesetzt und Pfade eingeschlagen hat, für die Andere - wenn sie es überhaupt annähernd schaffen - Jahrzehnte brauchen.
Der erste Einsatz führte ihn im Januar 2005 nach Düsseldorf, wo ein sogenanntes Freundschaftsspiel der Lilien angesetzt war und er von seinem genauso kongenial wie manches Mal chaotischen Partner Schneekönig in die Darmstädter Szene "eingeführt" werden sollte. Es wurde eine grandios chaotische Busfahrt und Sascha fragte sich insgeheim, ob er das wirklich machen sollte - Leiter des Fanprojekts in Darmstadt. Denn Darmstadts Fanszene lebt tendenziell grundsätzlich in der Vergangenheit und ist (daher) über die Maßen von sich selbst überzeugt. Das bedeutet, dass ein Trierer, der in Darmstadt das Fanprojekt leiten soll, in den meisten Fällen keineswegs mit offenen Armen empfangen wurde, sondern zurückhaltend (freundlich formuliert) bis ablehnend (realistisch betrachtet). Wir sind Darmstadt, die Partisanen, wer bist Du? Davon nehme ich mich nicht aus. Unsere erste (zumindest mir) bewußte Begegnung datiert vom 1. April 2005. Ortstermin München, Städtisches Stadion an der Grünwalder Straße. Auch von uns wurde Sascha nicht wirklich willkommen geheißen, so wie ein Partner der Fans und Streiter für ihre Interessen eigentlich willkommen geheißen werden sollte.
Sascha Rittel ließ sich davon nicht beeindrucken. Das Misstrauen, das ein Großteil der Fanszene (auch und gerade die "Stadionverbotsler", die normalerweise die Ersten sein müssten, die versuchen solten, ihn als Wahrer der Faninteressen für sich zu gewinnen) ihm entgegenbrachte, war die erste Mauer, die er zum Einstürzen brachte. Es folgten weitere.
Sascha Rittel hat es geschafft, das Fanprojekt Darmstadt (drittelfinanziert von Stadt, Land und DFB) aus dem Stand zu einem der populärsten Jugendhäuser in Darmstadt zu machen. Durch den Meilenstein, eigene Räumlichkeiten anzumieten, zu renovieren und hier eine Anlaufstelle für Fans vor allem im jugendlichen Alter zu schaffen, wurde dieser Zielgruppe die Möglichkeiten gegeben, Fahrten zu planen, Transparente und Banner zu malen, Trommeln und ähnliches Gut unter der Woche unterzustellen und nicht zuletzt einen Ort aufsuchen zu können, an dem man seine Freunde trifft. Neben sozialpädagogischer Arbeit und Beratung in Schulfragen, bei Problemen mit der Justiz oder in der Familie, etablierte Sascha - der die Leitung nach einer Vakanz von dem viel zu früh verstorbenen Andreas Gompf übernahm - das Fanprojekt als ernsthaften und gefragten Gesprächspartner von Polizei, Presse und (neuerdings) Verein.
"Neuerdings" deswegen, weil erst seit dem Amtsantritt von Hans Kessler von einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen dem SV 98 und dem Fanprojekt gesprochen werden kann. Die Vorgänger legten eher Wert darauf, der vom Verein unabhängigen und demgemäß auch kritischen Institution Fanprojekt fortlaufend Steine in den Weg zu legen oder über lancierte Gerüchte an die Presse die Arbeit von Sascha und Schnee in ein schlechtes Licht zu rücken. Es gelang ihnen nicht. Nichts desto trotz hat sich auch unter dem neuen Präsidium nicht alles zum Positiven gewandelt. Eine offizielle Verabschiedung des Mannes, der fast vier Jahre so engagiert für die Fans und den SV 98 kämpfte, wurde verpasst. Das hat ihn getroffen.
Es ist auch der Verdienst von Sascha Rittel, dass sich mit der Jugend- und der Mädelsgruppierung (für die spezifische Fahrten und Sprechstunden eingerichtet wurden) der Ultras nicht das leidliche Phänomen anderer abgerutschter Traditionsvereine wiederholt, denen eine Fanszene unterhalb von 20 Jahren komplett weggebrochen ist. Es ist ebenfalls auch der Verdienst von Sascha Rittel, dass in Darmstadts Szene im Gegensatz zu vielen anderen Städten eine tiefgehende politische Sensibilisierung stattgefunden hat, die letztlich Ausmaße angenommen hat (hier geht es nicht nur um die alljährlich Fahrt zum internationalen Fußballturnier Mondiali Antirazzisti in Italien, sondern um Plakate, Konzerte, Vorträge), die deutschlandweit Vorbildfunktion haben dürfte - auch wenn die Penetranz dem ein oder anderen sicher ein Stück zu weit geht.
Unterstützt wurde Sascha Rittel in dieser Zeit vor allem vom Träger des Fanprojekts, dem Internationalen Bund, natürlich auch von Schneekönig und den meisten Praktikanten und auch auf die städtischen Behörden war meist Verlass. Ist es nun Ironie des Schicksals, dass jetzt, da er Ende des Monats ausscheidet, das Land Hessen (und die Stadt Darmstadt) aufgrund des noch laufenden Insolvenzantrags des SV Darmstadt 98 keine Finanzierungszusage für die nächste Saison gegeben haben und somit eine sozialpädagogische Betreuung, die durch einen Nachfolger gewährleistet werden sollte, der nun nicht eingestellt werden kann, nicht möglich sein wird? Zukunft ungewiss. An dieser Anlegenheit läßt sich examplarisch der Druck ablesen, unter dem der Leiter des Fanprojekts in Darmstadt fortwährend stand und steht: die permanente Unwissenheit, ob und wie es weitergeht, die durch die komplizierten Entscheidungswege in Behörden (Hessisches Ministerium des Innern, Stadt Darmstadt) befördert wird.
Die Arbeit, die Sascha Rittel in Darmstadt geleistet hat und seine Person sind deutschlandweit auf ungeteilte Anerkennung und viel Wohlwollen gestoßen. Durch den Weggang von ihm verliert auch der Verein SV 98 eine Persönlichkeit, die in der Fußball-, Fan- und Fanprojektszene in Deutschland vernetzt war wie wenige. Engagements für den DFB bei Länderspielen in Londen, Prag und Cardiff sowie der WM 06 und der EM 08 und Dozententätigkeiten bestätigen das. Dass ihm von Seiten des Vereins eine ähnliche Wertschätzung nicht entgegengebracht wurde, stört Sascha vielleicht ein bißchen; trifft ihn aber nicht allzu sehr, denn die Menschen, die ihm in der täglichen Arbeit, bei allen Spielen, in den Fantreffs, bei Behördengängen, bei der Kommunikation mit der Polizei oder auch auf "seinem Kiez" kennen und schätzengelernt haben, diese Menschen haben verstanden, dass uns ein Guter verläßt.
Ein Mann, der in dieser kurzen Zeit ein Heiner geworden ist.
Ein Mann, der eine - jetzt, wo er endlich "privat zum Fußball gehen kann" (in den letzten Wochen eine seiner Lieblingswendungen) - glühende Lilie geworden ist.
Mach et jot, mein Lieber!
/// gehört wird: OASIS, Don´t Look Back In Anger ///
Achtundneunzig - 16. Jul, 17:12